Der
menschliche Drang nach mehr
Der Mensch ist ein zutiefst anmaßendes
Geschöpf und zugleich nur zu bemitleiden.
Du nippst an dem Getränk, der vor dir steht und neblige Hitzeschwaden
verbreitet. Du weißt, wovon der geheimnisvolle Fremde redet, der direkt vor dir
zu hocken scheint, obwohl du ihn im
Halbdunkel nicht genau ausmachen kannst. Denn im selben Moment, indem er davon
spricht, dass die Menschen aufgrund ihrer
Fähigkeit, zu differenzieren immer wieder neue idealisierte Kategorien
erfinden, schiebst du ihn bereits in die eigens von dir erstellte Sparte
der Altklugen. Du realisierst nicht,
dass er indirekt auch dir einen Vorwurf macht und verbrauchst noch mehr Wasser,
obwohl du eigentlich keinen Durst hast. Du bemerkst auch nicht, wie sich die
Schemen verschieben und seine verzerrte Gestalt klarer hervortritt, als er
näherkommt. Du denkst stattdessen nur darüber nach, wie du endlich Bekanntheit
in deinen Kreisen erlangst.
Wie
von selbst streichen deine Finger über deine Arme. Du spürst die verhornte Haut
und im Hintergrund erschallt die Stimme des Fremden lauter in deinen Ohren: Ich schließe mich nicht aus, sondern strebe
ja selbst danach, besonders zu sein und mich von den anderen zu unterscheiden,
indem ich andere verurteile... Doch du interessierst dich noch immer nicht
für die schleppenden Schritte und den schweren Atem, der mittlerweile durch den
Raum gewandert ist und deinen Rücken beinahe streichelt. Dafür tasten deine
Hände nach dem kleinen Rasiermesser, das solch wundervollen Schmerz erzeugt und
jegliche Sorgen und Wünsche nach einem besseren Leben in Keim erstickt.
Leider kann ich nicht sagen, dass ich
meine Chance auf ein ideales Leben vergeben möchte und von daher entschuldige
ich mich in aller Form bei Ihnen. Du
kannst mit einem Mal etwas riechen. Es...erinnert dich... Ja, woran genau? Du
stöberst in Erinnerungen und schließlich befördert dies deine Übelkeit. Es
riecht nach verdorbenen Lebensmitteln, stark überlagert mit einem strengen
Parfüm, das dir kurz die Orientierung erschwert. Mit einem Mal fühlst du, wie
deine Nase knirscht und Blutstropfen vor dir in der Dunkelheit den Boden
tränken. Wir Menschen sind dazu geboren
worden, uns gegenseitig auszurotten und das nur, weil wir stets das Beste für
unsere Art erreichen wollen. Im Endeffekt beschleunigt der Mörder schwacher
Exemplare nur die Stabilität der humanen Gesellschaft. Dein Atem kommt dir
keuchend über die Lippen, während dein Herz zu rasen beginnt. Kalter Schweiß
tränkt dein Haar, als du versuchst zu entkommen.
Im
nächsten Moment legen sich zwei verknöcherte Finger um deinen Hals und du
langst erneut nach dem Rasiermesser, das nun zu deinem einzigen Lichtblick für
dein weiteres Leben wird. Du kannst mir
später danken, wenn du als Geist siehst, welche Fortschritte die menschliche
Existenz ohne dein kümmerliches Dahinvegetieren gemacht hat. Ich weiß um deine
labile Psyche und du bist gerade deswegen leicht auszumerzen. Obwohl das,
was der Unbekannte dir erzählt, bisher alles wahre Funken enthalten hat,
kämpfst du darum, Luft einzusaugen. Aber gleichzeitig verstärkt sich der Griff
um deinen Brustkorb, ein stechender Schmerz durchdringt deinen Oberkörper. Oh, du scheinst bereits geplant zu haben,
mir den Vorzug zu lassen, sehr schön.
Du
bist noch immer vollkommen bei Bewusstsein, als der Unbekannte dir das
Rasiermesser in dein Herz rammt. Ein zartes Lächeln stiehlt sich auf deine
Züge, als du begreifst, dass der Fremde Recht hatte. Ich weiß, dass du mich nun verstehst und dass du die Nutzlosigkeit
deines Lebens begriffen hast. Ich werde die Ehre, dich getötet zu haben als
einen besonderen Quantensprung für die gesamte Menschheit betrachten. Deine
Augen werden weit, als deine Hände einen letzten Stoß in Richtung des
Unbekannten vollführen. Ein Stöhnen, eine Symphonie aus Todesschreien begleitet
dich hinab in die Dunkelheit und du begreifst, dass die Menschen tatsächlich
gegen ihre eigene Natur vorgehen.
Und dass wir alle, du eingeschlossen, für
den Verfall mit verantwortlich sind...
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